Arbeitnehmer müssen ihren verdienten Jahresurlaub während des laufenden Urlaubsjahres nehmen, sonst droht der Verfall. Aber was bedeutet das und gilt das immer? Lassen Sie uns einen Blick werfen auf:
- das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG),
- die aktuellen Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und
- die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).
Welche Pflichten haben hiernach Arbeitnehmer und Arbeitgeber und gibt es Wege, den Urlaub zu übertragen?
Kann der Resturlaub grundsätzlich in das Folgejahr übertragen werden?
Hier gilt es zunächst zu differenzieren zwischen dem gesetzlich geregelten Mindesturlaub und einem vertraglich gewährten zusätzlichen Urlaubsanspruch.
a. Vertraglich vereinbarter Zusatzurlaub
Bezüglich des vertraglichen Zusatzurlaubes können die Arbeitsvertragsparteien weitgehend autonome Regelungen zur Übertragbarkeit in das nächste Jahr bzw. dessen ersatzlosen Verfall treffen. Die Regelungen des BUrlG gelten hier nicht zwingend.
b. Gesetzlicher Mindesturlaub
Nach § 7 Absatz 3 BUrlG naht mit dem Jahresende der Verfall des gesetzlichen Mindesturlaubs, denn grundsätzlich muss der Urlaub im laufenden Jahr gewährt und genommen werden. Arbeitnehmer sollten daher rechtzeitig ihren verdienten Erholungsurlaub einfordern. Unter Berücksichtigung der europäischen Rechtsprechung verfallen (Mindest-) Urlaubsansprüche aber mittlerweile nicht mehr bedingungslos zum Jahresende!
- Arbeitgeber müssen vielmehr
- ihre Mitarbeiter proaktiv über den drohenden Verlust der Urlaubsansprüche informieren und
- sie zum Verbrauch des Urlaubs auffordern.
Das hat auch das BAG zwischenzeitlich klargestellt (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19.02.2019, Az. 9 AZR 541/15). Erst wenn der Arbeitnehmer über den drohenden Verlust seiner Urlaubsansprüche eindeutig belehrt worden ist, kann er nämlich bewusst und aus freien Stücken auf den Resturlaub verzichten!
Selbstverständlich können
- der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber auch
- betreffend den gesetzlichen Mindesturlaub
- individuell abweichende Vereinbarungen zu Gunsten des Arbeitnehmers treffen und
- eine uneingeschränkte Übertragung in die Folgejahre vereinbaren,
- um einen Verlust des nicht genommenen Jahresurlaubs zu vermeiden.
Wann kann nicht genommener gesetzlicher Urlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz in das Folgejahr übergehen?
Wer seinen Urlaub nicht im laufenden Jahr nehmen kann, hat unter bestimmten Umständen noch bis Ende März des folgenden Kalenderjahrs die Chance darauf, die restlichen Urlaubstage zu nehmen: Es müssen allerdings
- persönliche oder
- dringende betriebliche Gründe vorliegen,
damit der Jahresurlaub übergeht. Der übergegangene Urlaub muss in einem solchen Fall dann innerhalb der ersten drei Monate ab dem 1. Januar – also spätestens bis zum 31. März – genommen werden! Dass dringende betriebliche Gründe oder Gründe in der Person des Arbeitnehmers vorliegen, die einen Übergang in das Folgejahr rechtfertigen (§ 7 Absatz 3 BUrlG), muss im Zweifel der Mitarbeiter beweisen.
Im Übrigen verfallen auch die Urlaubstage, die Arbeitnehmern
- vor dem Mutterschutz oder der Elternzeit zustanden, nicht,
- sodass sie diesen Urlaub nehmen können, sobald sie die Arbeit wieder aufnehmen.
Welche persönlichen Gründe rechtfertigen den Übertrag des Urlaubs in das nächste Kalenderjahr?
Unvorhergesehene persönliche Umstände können den geplanten Urlaub durchkreuzen, so etwa:
- Eine plötzliche Arbeitsunfähigkeit – insbesondere Krankheit – des Arbeitnehmers selbst oder
- eine Erkrankung der Kinder, des Lebenspartners oder naher Angehöriger, die gepflegt werden müssen.
Unter solchen persönlichen Umständen kann der Resturlaub in das nächste Jahr übergehen, wobei, wie bereits erwähnt, der Mitarbeiter beweisen muss, dass die persönlichen Voraussetzungen vorliegen.
Welche dringenden betrieblichen Gründe rechtfertigen den Übertrag der Urlaubstage?
Der arbeitsrechtliche Grund dafür, dass der Arbeitnehmer den Urlaub nicht im laufenden Jahr verbrauchen kann, kann auch aus dem Verantwortungsbereich des Arbeitgebers stammen, etwa,
- wenn zum Ende des Kalenderjahres
- unaufschiebbare Aufträge erledigt werden müssen oder
- besondere Situationen im Betrieb, z. B. technische oder administrative Störungen, auftreten
- und die Anwesenheit des Arbeitnehmers daher erforderlich ist.
Den Nachweis hat auch insoweit der Mitarbeiter zu führen.
Muss der Mitarbeiter bei persönlichen oder dringenden betrieblichen Gründen einen Antrag auf Übertragung stellen?
Nicht verzagen, wenn der Jahresurlaub noch nicht ganz aufgebraucht ist und das neue Jahr bereits begonnen hat! Der Urlaubsanspruch verschiebt sich, sofern ein Übertragungsgrund im Sinne des § 7 Absatz 3 BUrlG vorliegt, automatisch bis zum 31. März des Folgejahrs – ohne dass der Arbeitnehmer einen diesbezüglichen Antrag stellen muss.
Muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer darauf hinwiesen, dass der Anspruch auf Urlaub zu verfallen droht?
Am Ende des Jahres oder, wenn er berechtigt übertragen wird, bis zum 31. März im folgenden Jahr, muss Urlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz bei strenger Auslegung genommen werden – andernfalls verfallen die Ansprüche auf restlichen Urlaub ersatzlos. Doch dieser Grundsatz ist heutzutage wegen der streng gefassten Voraussetzungen im Sinne einer europarechtskonformen Auslegung eingeschränkt und bietet Arbeitnehmern mehr Sicherheit rund um ihren (Mindest-) Urlaubsanspruch.
Denn die Arbeitgeber tragen jetzt die Verantwortung,
- ihre Mitarbeiter rechtzeitig schriftlich darüber zu informieren,
- dass der Urlaub zum Ende des Jahres bzw. des Übertragungszeitraums genommen werden muss,
- da die Urlaubstage andernfalls ersatzlos verfallen.
Es liegt an den Arbeitgebern darzulegen und nachzuweisen, dass sie dieser Verantwortung gerecht geworden sind; können sie eine schriftliche Aufklärung des Arbeitnehmers nicht nachweisen, verfällt der Urlaubsanspruch nicht. Insoweit passt sich das Bundesarbeitsgericht der Rechtsprechung des EuGH an, nach welcher der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch nicht nur deshalb verlieren darf, weil er keinen Urlaubsantrag gestellt hat.
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Ihr Giuseppe D’Antuono
Fachanwalt für Arbeitsrecht und IT-Recht
Ist der nicht verfallene Urlaubsanspruch verjährt?
Der EuGH bestätigte unlängst die Wichtigkeit der Aufforderungs- und Hinweispflichten des Arbeitgebers. In diesem Zusammenhang warf das Bundesarbeitsgericht eine spezifische Frage auf:
„Können Urlaubsansprüche aus früheren Jahren verjähren, obwohl der Arbeitgeber seiner Mitwirkungsobliegenheit nur unvollkommen oder gar nicht entsprochen hat?“
Der EuGH beantwortete diese Frage – nicht ganz unerwartet – zu Gunsten der Arbeitnehmer:
- Hat der Arbeitgeber den Mitarbeiter nicht ordnungsgemäß schriftlich über den Verfall der Urlaubsansprüche informiert,
- ist eine Verjährung des Urlaubs europarechtlich ausgeschlossen (Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 22.09.2022, C-120/21).
Mit Blick auf ältere Urlaubsansprüche würde das Einhalten der Verjährungsvorschriften den Arbeitnehmer- und Gesundheitsschutz, welchen der Europäische Gerichtshof stärken möchte, schwächen. Daher könnte die Gewährung des Mindesturlaubs gemessen an Artikel 7 Richtlinie 2003/88/EG nicht mit dem Prinzip der Verjährung in Übereinstimmung gebracht werden.
Dies bedeutet, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten gesetzlichen Jahresurlaub grundsätzlich den gesetzlichen Regelungen der Verjährung unterliegt, so dass der Anspruch nach drei Jahren durchaus verjähren kann.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beginnt die dreijährige Verjährungsfrist aber
- erst am Ende des Kalenderjahres zu laufen,
- in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und
- die Verfallfristen belehrt hat und
- der Arbeitnehmer den Urlaub – gewissermaßen voll informiert und aus freien Stücken – nicht genommen hat.
Verjährung von Urlaubsansprüchen – Klartext:
In der Praxis bedeutet dies:
- Arbeitnehmer können rückwirkend für viele Jahre nicht verbrauchte Urlaubsansprüche geltend machen!
- Dies hat insbesondere im Falle einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses große wirtschaftliche Bedeutung für den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer (Stichwort: Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs).
Näheres hierzu unter Ziffer 9 „Was passiert mit dem Resturlaub bei einer Kündigung“ und in unserem Beitrag zum Anspruch auf Abgeltung von Resturlaub!
Vorsicht: Die besonderen Voraussetzungen geltend nur in Bezug auf den Urlaubsanspruch. Am 31. Januar 2023 hat das Bundesarbeitsgericht nämlich entschieden, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch auch dann nach drei Jahren verjährt, wenn der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat. Hierzu berichten wir ausführlich in unserem Beitrag „Urlaubsabgeltung und dreijährige Verjährung – Keine Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers!“
Was gilt im Arbeitsrecht bei Urlaub und Krankheit?
Erkranken Arbeitnehmer dauerhaft, stellt sich immer die Frage des Umgangs mit noch nicht genommenem Urlaub. Insoweit gilt:
a. Grundsatz: Bei Krankheit verfällt der Urlaub nach 15 Monaten
Der Urlaubsanspruch bleibt zunächst bestehen, sofern der Arbeitnehmer ihn aufgrund von Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Übertragungszeitraumes nicht verbrauchen konnte. Der Urlaub kann im Falle einer langandauernden Arbeitsunfähigkeit daher nicht nur für das nächste Kalenderjahr, sondern sogar länger gesichert sein. Da sich Urlaubsansprüche von Arbeitnehmern, die über mehrere Jahre arbeitsunfähig erkranken, unaufhaltsam addieren würden, hat der Europäische Gerichtshof und nachfolgend auch das Bundesarbeitsgericht allerdings eine Grenze festgelegt:
Der gesetzliche Anspruch auf Mindesturlaub erlischt 15 Monaten ab dem Ende des jeweiligen Urlaubsjahres, als zum 31.03. des übernächsten Jahres und zwar auch dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers ununterbrochen fortdauert.
b. Verfällt der Urlaub bei Krankheit ausnahmslos nach 15 Monaten?
Nein, auch insoweit hat das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung europarechtskonform fortentwickelt:
Urlaubsansprüche die Jahre betreffen, in denen der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat und im Laufe derer er erst erkrankt ist, bleiben bestehen, wenn der Arbeitgeber seiner Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn er den Arbeitnehmer nicht ordnungsgemäß über den drohenden Verfall der Urlaubstage informiert hat. Auch insoweit darf der Urlaubsanspruch nicht einfach aufgrund der länger andauernden Arbeitsunfähigkeit verloren gehen.
c. Wann verfällt tariflicher Urlaubsanspruch bei Krankheit?
In einem Tarifvertrag können in Bezug auf die Übertragung von tariflichen Urlaubsansprüchen bei Krankheit abweichende Regelungen enthalten sein. Sofern der Tarifvertrag keine besondere Regelung enthält, gilt dem Grunde nach das Bundesurlaubsgesetz. Da in vielen Tarifverträgen jedoch besondere Regelungen betreffend die Übertragung und den Verlust des Urlaubs enthalten sind, ist jeweils eine Einzelfallbetrachtung durch einen auf das Arbeitsrecht spezialisierten Rechtsanwalt zu empfehlen.
Was passiert mit dem Resturlaub bei einer Kündigung?
Wird das Arbeitsverhältnis von einer Vertragspartei gekündigt, hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung (§ 7 Absatz 4 BUrlG), wenn:
- Er den Urlaub wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr nehmen kann.
Weitere Informationen zur Urlaubsabgeltung finden Sie in unserem Beitrag „Urlaubsabgeltung bei Kündigung„.Insbesondere unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung der Rechtsprechung zum Verfall und zur Verjährung von Urlaubsansprüchen, können hier hohe finanzielle Ansprüche des Arbeitnehmers in Rede stehen. Eine Beratung durch einen Fachanwalt für Arbeitsrecht ist daher dringend zu empfehlen.
Für Fragen rund um das Thema „Verfall, Verjährung und Abgeltung von Urlaubsansprüchen“ steht Ihnen Fachanwalt für Arbeitsrecht Giuseppe D’Antuono gerne zur Verfügung.